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Dimitris Nollas: Der alte Feind

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2017-01-31 2017-04-24 31.01.2017

Um Fremdsein, die Suche nach dem Sinn des Lebens und die Bedeutung der Zeit im Leben und in der Literatur geht es unter anderem in den Erzählungen von Dimitris Nollas (Jahrgang 1940). Die Menschen seiner traurig-melancholischen Geschichten, die der im Kölner Romiosini-Verlag erschienene deutsch-griechische Erzählband „Der alte Feind“ vereint, sind oft unterwegs - Handlungsorte sind zum Beispiel Autos, das Führerhaus eines Lkw, die Bar einer nächtlich leeren Flughafenhalle oder ein an einer Bushaltestelle gelegenes Kafenion - und scheinen sich doch in abgeschlossenen Welten zu befinden, Gefangene der jeweiligen Umstände zu sein.

Da ist in „Weit ist der Weg der Trennung“ ein in einer Beziehungskrise steckendes griechisches Ehepaar von seinem Wohnort Aachen mit dem Wagen nach Griechenland unterwegs. Eigentlich wollte er mal wieder mit ihr reden und Salongo besichtigen: „Denn wenn jemand von einem weit entfernten Ort an einem anderen Ort so schnell ankommt, ist es, als ob er nie weg gewesen wäre.“ Er nimmt von Igoumenitsa aus die Landstraße in Richtung Thessaloniki. Ein Fehler, denn die Zeit ist auch in der alten Heimat nicht stehen geblieben: Verlassen sind die Dörfer, die Straße durch diese landschaftlich reizvolle Landschaft unbenutzt, seit es die Autobahn gibt, und deshalb in sehr schlechtem Zustand. Ihre Reise landet - ebenso wie ihre Beziehung - in einer Sackgasse, und die Aussprache erfolgt erst, als sie wieder mit 120 Stundenkilometern über die Schnellstraße gleiten: „So grau und glänzend, wie die Straße sich vor ihnen ausbreitete, schien sie geradezu geschaffen dazu, ihre Beziehungen zu durchstoßen und den letzten Schlag für ihre Vernichtung zu beschleunigen.“

Auf den winterlichen Straßen Deutschlands ist in der Erzählung „Bonus“ Nulis von einer amerikanischen Kaserne zur nächsten unterwegs, um den Soldaten die 24 Bände der „Großen Bunten Franklinischen Enzyklopädie“ anzudrehen - mit einer Bibel als Bonus. Als „Wartesaal für die Fahrgäste, eine Art Schiffsanlegestelle, da die Verkehrsverbindungen um diese Zeit eher selten waren. Oft aber auch als Ort und Zuflucht für ein Einhalten oder eine kleine Träumerei für einen, der seinen Bus verpasst hatte und noch ein paar weitere verpasste beim Warten auf den nächsten“ dient in der Erzählung „Verlorene Spiele“ das Kafenion. Eine ebenfalls in sich geschlossene Welt ist das Dorf in „Der sprachlose Andere“, in dem dem Lehrer die bösen Scherze missfallen, welche die Bewohner mit dem Dorftrottel treiben. Ein „Zusammengehörigkeitsgefühl der anderen Art“, wie Nollas schreibt: „Nichts war im Stande, sie gegeneinander aufzubringen, keine Meinungsverschiedenheit war zu bemerken, wenn sie mit Savas ihr Spiel trieben. Als ob dieses Geschöpf im Stande gewesen wäre, alle Zwistigkeiten auf seine Schultern zu nehmen und sie zur Einmütigkeit zu führen.“

Dass es nie zu spät ist, sein Leben zu ändern, zeigt „Menschen und Wände“: Der über fünfzig Jahre alte Lasaros, verwitwet, kinderlos und arm, verlässt Bukarest, wo er mit seiner Frau in einem eigenen großen Haus gelebt hat, geht nach Griechenland und richtet sich dort in einem alten Schuppen, den ihm die reiche Verwandtschaft seiner Frau zur Verfügung stellt, häuslich ein. Alt geworden, will er weder zu einer Nichte seiner Frau ziehen, noch ihr das Haus in Bukarest überschreiben: „Es war ihm nicht daran gelegen, ihr zu verstehen zu geben, dass die Häuser an die lebenden Personen gebunden sind, und, um zu existieren, sie dazu verurteilt sind, von denen bewohnt zu werden, die sie nötig haben.“ In „Ein verlorener Personalausweis“ verkauft Kosmas sein verschuldetes Haus mit Hof und verlässt sein Heimatdorf, um in Athen sein Glück zu machen. Doch es kommt anders: Nach Verlust seines Geldes und seiner Lebensperspektive ist er gezwungen, von Schwarzarbeit zu leben - als einziger Grieche unter Ausländern. Und er erkennt: „Und wo willst du denn hin, armes Luder? Siehst du denn nicht, wie klein die Welt ist? Wo immer du hingehst, du bleibst drin.“

Der in Nordgriechenland geborene Dimitris Nollas ist selbst viel herum gekommen: Nach ihrer Vertreibung durch die bulgarischen Besatzungstruppen ließ sich seine Familie in Athen nieder. Dort und in Frankfurt/Main studierte Nollas Jura und Soziologie, ohne jedoch sein Studium abschließen zu können. Danach lebte und arbeitete er zwischen 1962 bis 1975 in verschiedenen Städten Westeuropas. Anschließend schrieb und inszenierte er Kindersendungen für den Rundfunk und Informationssendungen für das staatliche Fernsehen, war Programmberater bei privaten Fernsehsendern, unterrichtete an der Pandeion Universität von Athen Drehbuchschreiben im Fachbereich für Kommunikation und erstellte Drehbücher für Kinofilme und Fernsehproduktionen. Seit 1974 schreibt er - vor allem Novellen und Erzählungen, aber auch Romane. Für sein Werk wurde Nollas mit verschiedenen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet.

Die Erzählungen aus dem vorliegenden Band „Der alte Feind“ stammen aus den Jahren von 1982 bis 2004. Nollas: „Ich gehöre zu denjenigen, die glauben, dass es nicht vieler Worte bedarf, wenn man etwas auch mit wenigen Wörtern ausdrücken kann. Ich möchte glauben, dass sich die Figuren meiner Geschichten in den Köpfen anderer Menschen einnisten, nachdem sie das Zufluchtsnest, das ich ihnen gewähre, verlassen haben und dann diesen Menschen Wärme spenden und Gesellschaft leisten. Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist, und es kümmert mich auch nicht. Sie sind jetzt erwachsene Kinder.“

Dimitris Nollas
Der alte Feind
Erzählungen griechisch-deutsch
Romiosini Verlag
183 Seiten
ISBN 3-929889-78-1